Roland Ionas Bialke - Indymedia - 9. September 2009
Gestern, am 8. September 2009, fand der 2. Prozesstag gegen Yunus und Rigo wegen Mordversuch im Landgericht Berlin statt. Die beiden werden beschuldigt am 1. Mai 2009 einen Molotowcocktail auf PolizistInnen geworfen und dabei eine Frau verletzt zu haben. Am gestrigen Prozesstag belastete ein Polizist der Spezialeinheit FAO Yunus und Rigo, verwickelte sich während seiner Befragung in Widersprüche.
Wie schon am 1. Prozesstag erschienen viele ProzessbeobachterInnen, etwa 35, sodass nicht alle von ihnen in den Saal 817 des Landgerichts durften. Ich kam erst gegen Mittag in den Gerichtssaal, der Artikel bedarf darum einiger Ergänzung.
Als Zeuge der Staatsanwaltschaft sagte POK Pomotka (38) aus. Seit 1989 ist er Polizist und seit 1992 in Kreuzberg eingesetzt. Der Zeuge ist Mitglied einer geschlossenen Einheit die sich FAO nennt. FAO bedeutet "Fahndung, Aufklärung, Observation). Diese Einheit wird "zur Bekämpfung von Strassenkriminalität und in besonderen Lagen" eingesetzt. Die FAO-Einheiten sind in ziviler Kleidung unterwegs, beobachten u.a. die "BTM-Szene" und "besondere Lagen" (1. Mai, Biermeile, Demonstrationen, Strassen wo Autos brennen können, etc.). Pomotka selbst ist im Bereich Kottbusser Tor in der Strassen- bzw. Drogenszene bekannt. In der linken Szene kursierte ein Bild von ihm, auf dem er als "Ted" verkleidet zu erkennen war. Auf den ZeugInnenstuhl sass ein Mann mit kurzen Haaren, doppelt gepiercten linken Ohr, einen schwarzen Kapuzenpullover, abgetragenen Turnschuhen und eng anliegenden Bluejeans. Jemand der ihn auf einer Demonstration gesehen hätte, wäre bestimmt der Meinung gewesen es handle sich um einen linken Demonstranten.
Pomotka sagte aus, dass Yunus und Rigo sich nicht in der 4-oder-5er-Gruppe aufgehalten habe, sondern zu zweit oder zu dritt unterwegs gewesen waren. Diese Aussage sollte davon ablenken, dass Zeugen zwei Personen einen Brandsatz fast zur selben Zeit fliegen gesehen haben, der von einer Person, die sich in einer Vierergruppe aufgehalten hatte, geworfen wurde. Einer der Angeklagten im gestrigen Prozess wurde jedoch aufgrund eines Fotos dieser 4er-Gruppe festgenommen. Weil er ein schwarzes Basecap und ein weisses T-Shirt trug, braungebrannte Haut hatte. Oberstaatsanwalt Ralph Knispel hatte jedoch behauptet, das Foto habe nichts mit der Festnahme zu tun gehabt, sondern zeige u.a. den Werfer des anderen Brandsatzes.
Das hier Aussagen "angepasst" wurden, zeigen auch die Vernehmungen. Nach Yunus und Rigos Festnahme wurden die beteiligten Polizisten (auch Pomotka) in einer Festnahmestrasse noch vor Ort vernommen. Eine Festnahmestrasse sind mehrere hintereinander stehende Polizeifahrzeuge, in denen gleich vor Ort und zeitlich nah die Vernehmungen durchgeführt werden können und erste erkennungsdienstlichen Behandlungen erfolgen - um die Festgenommenen besser zu kriminalisieren, d.h. in Untersuchungshaft zu bekommen und/oder ihnen besser Straftaten nachweisen zu können. Nach der Vernehmung der Polizisten in der Nacht zum 2. Mai 2009 erfolgte aber nochmal eine Vernehmung kurz vor dem Prozessbeginn.
Pomotka sagte aus, dass er an der Festnahme direkt beteiligt gewesen sei, was normalerweise in seiner Tätigkeit bei der FAO nicht vorkomme. Da würde er eher observieren und dann den uniformierten Kollegen bescheid geben. Er war mit seinen Kollegen Herr Huber, POM Kleine, POK Eisenbeck (er war der "Kraftfahrer") und POK Berger (alle FAO) im Auto unterwegs, stellten ihr Fahrzeug dann ab und gingen zu Fuss weiter. Der Führer seiner FAO-Einheit sei ein Herr Potniaski, der aber in dieser Situation nicht dabei war. Pomotka will dann gesehen haben wie eine Frau durch einen geworfenen Brandsatz am unteren Rücken Feuer fing. Durch ihre abgedeckten Haare - die Frau hatte "Rastazöpfe" - griffen die Flammen nicht auf ihren Kopf über. Die Frau bewegte sich brennend etwa 2 bis drei Meter panisch umher, wurde dann aber von zwei Passanten umgerissen und "abgelöscht". Pomotka selbst hatte nicht den Wurf und auch nicht das Rausholen bzw. Anzünden des Brandsatzes gesehen. "Herr Berger hat das aber gesehen", sagte Pomotka. Daraufhin seien sie durch eine Menschenmasse gegangen und Pomotka sprang über eine Absperrung um Yunus und Rigo mit Hilfe uniformierter Kräfte festzunehmen. Da war es etwa 5 Minuten nach der Tat. Eine Frau Prasser (auch in ziviler Kleidung unterwegs und von der FAO) stand ebenfalls mit an der Absperrung.
So wahrheitsgemäss war dann Pomotkas Aussage jedoch nicht. Anfangs versuchte er zu verschleiern wer was gesehen hat. Mit "man sah" oder "man ging" formulierte er seine Sätze. So vermittelte Pomotka, dass er selbst den Wurf gesehen hatte. Doch später wurde ein von ihn selbst verfasster und unterschriebener Kurzbericht (vom 2. Mai 2009) besprochen. Darin stand sinngemäss, dass er gesehen hat, dass Yunus den Brandsatz anzündete und Rigo den Brandsatz warf. Auf die Frage, ob er die beiden Angeklagten denn bei den Anzünden und Werfen gesehen hat, antwortete er: "Nein!" Daraufhin wurde er von der Verteidigung gefragt, warum er das in seinen Bericht geschrieben hat. O-Ton: "Unterscheiden Sie zwischen eigenen Wahrnehmungen und Vermutungen?" Darauf antwortete Pomotka: "Weil Berger mir das gesagt hat." Daraufhin wurde der Zeuge nach draussen gebeten und eine Protokollierung seines Neins beantragt, auch weil der Polizist eventuell eine Straftat verschuldet hat und seine Aussage bedeutend für die Beweiswürdigung ist. Der Antrag auf Protokollierung wurde durch das Schwurgericht abgelehnt.
Schon zuvor wurden Funkprotokolle angefordert. Der Zeuge sagte aus, dass der Funkverkehr der FAO-Einheiten schriftlich protokolliert wird. Diese Protokolle waren aber nicht in den Ermittlungsakten, sodass Rechtsanwalt Klingengräff den Zeugen fragte, an wen er sich denn wenden muss um diese Protokolle zu erhalten. Pomotka meinte daraufhin lachend: "An den Polizeipräsidenten". Pomotka gab zudem an, dass es etwa 30 bis 50 Funkkreise zur Tatzeit (am 1. Mai) aktiv waren, er aber nur über den Funkkreis seiner Direktion kommunizierte. Ausserdem telefonierte er über sein Diensthandy. Es stellte sich dann heraus, dass es vom ersten Vernehmungsprotokoll zwei Versionen gab. Pomotka meinte dazu: "Zwei, wegen der Qualitätskontrolle.". Auf die Qualität angesprochen, meinte er dann, dass es sich um "Rechtschreibfehler und Schnitzer" handelt, die "beseitigt" werden.
Der Zeuge, der auch bei der Durchsuchung der Kleidung dabei gewesen war, konnte kein Benzingeruch an den Festgenommenen wahrnehmen. Und das, wobwohl der geworfenen Brandsatz mächtig getropft haben soll. Auch Berger und Eisenbeck konnten das nicht. Ein weiterer Widerspruch war, dass die Polizisten direkt den Wurf und die Täter gesehen haben wollen, dann aber 5 Minuten brauchten um sie festnehmen zu können. Das begründete der Zeuge zuerst mit den Menschenmassen, die zwischen ihm und den Tätern lagen, dann will er aber plötzlich "freie Sicht" auf die Täter gehabt haben. Und auch der Werfer sollte, laut der Vernehmung, eine dunkelblaue Jeans angehabt haben. Doch der als Werfer beschuldigte Rigo hatte bei seiner Festnahme keine dunkelblaue Hose an. Der Zeuge entschuldigte das als Fehler, wegen der langen Einsatzzeit am 1. Mai, und meinte, dass es sich da um einen "Dreher" handelte, weil Yunus die blauen Jeans anhatte. Daraufhin wurde der Zeuge gefragt: "Haben Sie vielleicht auch andere Dinge aufgrund Ihrer Arbeitszeit verdreht wahrgenommen?" Diese Frage beantwortete der Zeuge nicht.
Von zwei Zeugen erhielt Pomotka eine Foto-Speicherkarte und sah sie sich noch in der selben Nacht an. Darauf konnte er aber nichts erkennen. Die Verteidigung spielte nun auf die gleichen Sätze in den Vernehmungen an. In den Vernehmungen standen nämlich im Wortlaut die gleichen Sätze, an den Stellen wo beschrieben wird, dass die beiden beim Werfen gesehen wurden. Daraufhin meinte Pomotka: "Das sind Standartbausteine.". Pomotka betonte aber, dass die Zeugen sich nicht abgesprochen hätten und das es keine Manipulation gab.
Zwischenzeitlich gibt es eine Soligruppe für Yunus und Rigo. Auf der Homepage http://www.yunus-rigo-prozess.de werden Prozessberichte und Presseberichte dokumentiert. Die vielen ProzessbeobachterInnen sind gut dabei, aber aus Erfahrung wird das abnehmen. Also kommt zu den nächsten Prozesstagen. Es ist nicht nur ein Zeichen der Solidarität gegenüber Yunus und Rigo, sondern Ihr könnt auch viel über die Repressionsorgane lernen. So erfuhren Wir beispielsweise, dass die FAO relativ autonom bewegen kann, normalerweise 2 bis 5 Personen zusammen sind, aber diese ErmittlerInnen auch allein oder in grösseren Gruppen unterwegs sein können. Am nächsten Prozesstag wir Herr Berger von der FAO und zuvor kurz die Geschädigte gehört. Pomotka war übrigens in Begleitung zweier anderer in ziviler Kleidung Polizisten. Gemeinsam fuhren die drei nach dem Prozess mit einem grauen VW mit der Autonummer B-IP 324 weg.
Der nächste Prozesstag ist am 11. September 2009 im Landgericht Berlin, Turmstr. 91 um 09:00 Uhr. Im Saal 817. (Ihr müsst den Aufgang L benutzen!) Verkehrsanbindung: U9 Turmstrasse, Bus 187 (Zur Zeit fährt keine S-Bahn!)
BITTE ERGÄNZEN
Alle im Artikel verwendeten Namen wurden nur als gesprochenes Wort gehört. Von daher kann es vorkommen, dass einige Namen falsch verstanden wurden. Bei weiterer Verwendung sollte das berücksichtigt werden. Die Berliner Zeitung verwendet z.B. den Zeugennamen "Andreas K.", was ich nicht nachvollziehen kann.